Der Ruf nach einer nachhaltigen und intelligenten Mobilität in der Binnenschifffahrt ist laut! Pilotprojekte für eine automatisierte Binnenschifffahrt schiessen aus dem Wasser. Die Reform des Befähigungswesens durchläuft die letzten Etappen der Umsetzung. Die Grundlagen für eine digitale Zukunft sind in der Binnenschifffahrt also geschaffen. Sind damit alle Probleme gelöst? Oder was gibt es zu tun, bis die ersten autonom fahrenden Schiffe in Basel anlegen? Ausgehend von diesen Fragen, nehmen wir eine Auslegeordnung vor.
«Ich halte einen KLAREN Kurs, Godverdeckelen!» schallte es durch das Klassenzimmer der Schweizerischen Schifffahrtsschule, damals 1985, bei einer der ersten Lektionen über das Begegnen Schiff-Schiff, und zwar im Unterricht zur Rheinschifffahrtspolizeiverordnung. «Und wenn das nichts bringt, gebe ich SIGNAL!» Die Faust donnerte auf das Pult, so dass wir diese Lektion nicht mehr vergassen, auch in Kenntnis davon, dass «Pit», unser Schulschiffleiter Peter Rösler, einmal dem Boxkampf nahe stand.
Ein Blick in die Zukunft
36 Jahre später lanciert die Europäische Kommission ihre Strategie für eine nachhaltige und intelligente Mobilität. Dazu gehört ein Aktionsplan, der 82 Initiativen nennt, von welchen auch die Binnenschifffahrt betroffen ist. Generell geht es dabei um die Transformation hin zu einem ökologischen Güterverkehr; typische Beispiele für die Transformation sind emissionsarme Häfen und Schiffe mit erneuerbaren und kohlenstoffarmen Kraftstoffen. Dafür spielt, gemäss Aktionsplan der Europäischen Kommission, die Digitalisierung an Bord der Schiffe eine wichtige Rolle: Der Computer ist, erstens, von einem Fahrzeug der Binnenschifffahrt nicht mehr wegzudenken. Zweitens können smarte Software-Programme für die Maschinenüberwachung (dank ihrer Cloud-Verbindung zum Hersteller) die Effizienz des Antriebs positiv beeinflussen. Drittens fördern elektronische Binnenschifffahrtskarten (ENC), die mit dem Automatic Identification System (AIS) verbunden sind, und die elektronische Melde-Software überhaupt die Leichtigkeit und Sicherheit der Schifffahrt.
Mit Fördergeldern an Universitäten, Forschungsanstalten und Industrie werden interessante Projekte unterstützt, z.B. das Platooning (virtueller Schleppverband) oder die Shore Control Center (Landzentralen, von denen aus die Schiffe gesteuert werden). Für den Bereich «Automatisierung in der Binnenschifffahrt» sind aktuell 27 Pilot- und Forschungsprojekte aufgelistet; sie sind abrufbar via: https://automation.ccr-zkr.org/. Das Ziel dieser Bestrebungen um Automatisierung ist es, die Binnenschifffahrt als einen selbständigen, sauberen und sicheren Verkehrsträger weiterzuentwickeln.
Sozialverträglich, wirtschaftlich und vernetzt
Die Argumente der «Digital-Promotoren» sind bezeichnend für eine automatisierte Binnenschifffahrt:
- Man plane «sozialverträgliche Arbeitsplätze» in Landzentralen, von denen aus die Binnenschiffe zukünftig gesteuert und überwacht würden;
- der wirtschaftliche Vorteil daraus seien die scheinbar einzusparenden Personalkosten;
- Wasser, Strasse und Schiene könnten bei neuen trimodalen Hubs miteinander verbunden und digital vernetzt werden, d.h. dank steigender Effizienz könne die Güterschifffahrt den Gütertransport auf Strasse und Schiene entlasten.
Image aufpolieren
Neben diesen und anderen Bestrebungen dürfte das Image der Binnenschifffahrt zuerst von der Forschung an alternativen, emissionsarmen Antrieben gründlich erneuert, ja aufpoliert werden. Das ist gut so! Bei all der Aufbruchsstimmung und Euphorie dürfen wir jedoch das nautische Kerngeschäft, das auf einem Binnenschiff nach wie vor im Steuerhaus stattfindet, nicht vergessen!
Fragt man heute die Besatzungen an Bord der Binnenschiffe über die digitalen Entwicklungen, insbesondere über die automatisierte Schifffahrt, kommt meistens ein Lächeln mit dem Ausdruck zurück: «Träum‘ weiter, mein Freund». Man kann diese Meinung durchaus vertreten. Aber wer weiss nicht selber: Erstens kommt es anders, als man zweitens denkt.
Was die Realität an Bord bestimmt
Die Arbeit im Steuerhaus hat sich dank der Technik gewandelt, die verantwortlichen navigatorischen Aufgaben bei der Schiffsführung jedoch sind nicht verändert. Der Blick aus dem Steuerhaus durch eine erfahrene Schiffsführung ist nach wie vor das Mass für eine sichere Fahrt mit dem Binnenschiff. Dabei überprüft der Schiffsführer bzw. die Schiffsführerin zügig-systematisch in der Abfolge gemäss Grafik auf Seite 4.
Die Binnenwasserstrassen – zumindest der Rhein – sind nicht mit der Bahn oder Strasse zu vergleichen. Dynamische Werte wie die Höhe des Wasserspiegels geben dem fahrenden Schiff den Tiefgang vor und ebenso die Durchfahrtshöhe von Brücken. Für das Navigieren eines Binnenschiffes beanspruchen die Sogwirkungen aufgrund der Fliessgeschwindigkeiten und die Berechnung des Tiefganges grundlegendes nautisches Wissen. Diese Erfahrungswerte lassen sich zwar in einem Labor einer Hochschule nachrechnen und simulieren, aber eben: nur simulieren! Viele Faktoren sind Erfahrungswerte, die man/frau für die Schiffsführung in praktischer Anwendung lernt.
A und O Planungssicherheit
Aus Pilotprojekten entstehen Innovationen bei Herstellern, die auf ihr eigenes Risiko hin Geräte herstellen und die damit, legitimerweise, Geld verdienen wollen. Da die Rahmenbedingungen für die Zukunft der Binnenschifffahrt heute entstehen, sollten dafür Standards aus einer früh begonnenen Diskussion zwischen Verordnungsgeber und Herstellern hervorgehen. Solche Standards sollten so beschaffen sein, dass sie sowohl zukunftsfähig und ausbaufähig als auch bezahlbar und brauchbar sind. Wegen der Kompatibilität der Navigationsgeräte im Steuerhaus ist es richtig und wichtig, dass der Verordnungsgeber mit den Herstellern minimale Standards festlegen kann. Deshalb ist ein klarer Kurs gefragt, wie manuelle Schiffsführung und digitale Hilfsmittel miteinander gepaart werden!
Grundausstattung wird laufend verbessert
Die Grundausstattung für ein modernes Steuerhaus (Bild Seite 6) ist heute bereits vorhanden. Mit dem «Spurführungsassistenten für die Binnenschifffahrt» (SAB) können die Schiffe den Kurs und die Geschwindigkeit auf einer vorgegebenen Linie selbständig fahren. Bestrebungen, den sogenannten Blick aus dem Fenster sowie die dynamischen Werte auf einem fliessenden Gewässer durch künstliche Intelligenz zu erfassen, sind nächste Schritte.
Wie manuelle Schiffsführung und digitale Hilfsmittel miteinander paaren?
Aufgrund der Initiative zur neuen europäischen «Befähigungsrichtlinie für die Binnenschifffahrt», die nächstes Jahr in Kraft gesetzt wird, ist eine umsichtige konzeptionelle Arbeit an dieser Richtlinie durchgeführt worden. Die ZKR ist gewillt, die Richtlinie mit der neuen, fast identischen «Rheinschifffahrtspersonalverordnung» zu übernehmen. (SVS aktuell wird berichten).
Prüfung auf zwei Ebenen
Eine veritable Neuerung stellt die praktische Prüfung dar, die auf zwei Ebenen eingerichtet und künftig absolviert wird: auf der Betriebsebene die Prüfung für den Matrosen/die Matrosin, auf der Führungsebene die Prüfung für den/die Schiffsführer/in. Auch als Folge der intensiveren Ausbildung verkürzt sich die Anforderung sowohl an Zeiten in der Schule als auch an praktischen Fahrtagen auf dem Schiff – alles in allem wird die Karriere also beschleunigt! Aktuell sind die Schul- und Prüfinstitutionen damit beschäftigt, die richtigen Lernstoffe auszuarbeiten, für die man auch mögliche digitale Entwicklungen im Blick haben muss.
Gewerbe will Schubkraft nutzen
Das Gewerbe ist, wie vielfach bekundet, gewillt, mit der „Schubkraft“ aus der Reform des Befähigungswesens seine Ausbildungsinitiativen und seine Nachwuchswerbung neu an die Hand zu nehmen sowie dem Publikum vorzustellen. Letzteres ist gut investiertes Geld, um mit attraktiver Werbung junge Menschen mit der Binnenschifffahrt bekannt zu machen – und sie als neue Talente zu gewinnen!
Für die Rahmenbedingungen der Schifffahrt auf dem Rhein sind und bleiben, aus Schweizer Sicht, die Mitgliedstaaten der Zentralkommission der Rheinschifffahrt (ZKR) zuständig, was sich buchstäblich schon seit Jahrzehnten bewährt: Sie sind miteinander dafür verantwortlich, dass der Betrieb der Rheinschifffahrt sicher verläuft und dass Kunden und Passagiere der Rheinschifffahrt einen zuverlässigen Umgang mit digitaler Technologie zutrauen.
Wir geben «Signal» und steuern «klaren Kurs»
An diesem Punkt ist auf das oben genannte, nautische Kerngeschäft zurückzukommen: Wesentlich dafür ist, dass die Schiffsführung in einem ergonomischen Steuerhaus ihre Arbeit verrichten kann und beim Blick aus dem Fenster nicht abgelenkt wird. Für den zukünftigen Kurs dürfte somit klar sein: Digitale Hilfsmittel dann und dort im Steuerhaus, wo sie das nautische Handwerk nicht ersetzen, sondern es sichernd unterstützen!
Wichtige Bedeutung der ZKR
Im Interesse der Schweiz und der Landesversorgung müssen wir, solange die Schiffsführung an Bord durchgeführt wird, in der ZKR dabei mitwirken, dass auf dem Rhein kein «Eldorado für Versuchszwecke» entsteht. Wann Technik und Ausbildung das Niveau und die Ausbreitung erreichen, die für eine automatisierte Schifffahrt sicher erreicht sein müssen, weiss man noch nicht.
Aber klar ist soviel: Damit die «automatisierte Schifffahrt auf dem Rhein» als Ziel konkret angesteuert werden kann, sind dafür einige Aufwände vorher nötig, die unumgänglich sind, nämlich Geld für Schaffen von Wissen, Rahmenbedingungen und Kommunikation!
Vorwärtsstrategie fahren statt Visionen zu bunkern
Statt Visionen zu bunkern, nutzen wir nun die Zeit dafür, zwei zentrale Aufgaben, die über kurz oder lang sowieso auf uns zukommen, bereits anzugehen: Zum einen ist es die Aufgabe, dass wir unsere Berufsleute an Bord auf die digitale Zukunft des nautischen Handwerks vorbereiten und sie dafür ausbilden. Die andere Aufgabe ist ebenfalls fundamental und umfasst die Vorarbeiten und die Implementierung der Lösungen pro Cyber Security, pro Datenschutz und pro 100%-digitale Netzabdeckung. – Das nenne ich einen «klaren Kurs», der auch «Pit» freuen würde!
Der Beitrag ist in der März-Ausgabe im SVS aktuell erschienen. Im PDF finden Sie alle im Text erwähnten Grafiken:
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